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Vorlage-Sammeldokument

                                    
                                        Die Oberbürgermeisterin

Vorlage

Vorlage-Nr:

FB 45/0103/WP18

Federführende Dienststelle:
FB 45 - Fachbereich Kinder, Jugend und Schule
Beteiligte Dienststelle/n:

Status:

öffentlich

Datum:
Verfasser/in:

25.05.2021
FB 45/300.000

Unbegleitete minderjährige Ausländer
Hier: Arbeitshilfe zur Durchführung von behördlichen
Altersfeststellungen gemäß § 42f SGB VIII
Ziele:
Beratungsfolge:
Datum
15.06.2021

Gremium
Kinder- und Jugendausschuss

Zuständigkeit
Kenntnisnahme

Beschlussvorschlag:
Der Kinder- und Jugendausschuss nimmt die Ausführungen der Fachverwaltung zustimmend zur
Kenntnis.

Vorlage FB 45/0103/WP18 der Stadt Aachen

Ausdruck vom: 16.06.2021

Seite: 1/4

Finanzielle Auswirkungen
JA

NEIN
x

Investive

Ansatz

Auswirkungen

20xx

Fortgeschrieb
ener Ansatz
20xx

Fortgeschrieb

Ansatz

ener Ansatz

20xx ff.

20xx ff.

Gesamtbedarf (alt)

Gesamtbedarf
(neu)

Einzahlungen

0

0

0

0

0

0

Auszahlungen

0

0

0

0

0

0

Ergebnis

0

0

0

0

0

0

+ Verbesserung /

0

0

Deckung ist gegeben/ keine

Deckung ist gegeben/ keine

ausreichende Deckung

ausreichende Deckung

vorhanden

vorhanden

- Verschlechterung

konsumtive

Ansatz

Auswirkungen

20xx

Ertrag

Fortgeschrieb
ener Ansatz
20xx

Fortgeschrieb

Ansatz

ener Ansatz

20xx ff.

20xx ff.

Folge-

Folgekosten (alt)

kosten
(neu)

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

Abschreibungen

0

0

0

0

0

0

Ergebnis

0

0

0

0

0

0

Personal-/
Sachaufwand

+ Verbesserung /
- Verschlechterung

0

0

Deckung ist gegeben/ keine

Deckung ist gegeben/ keine

ausreichende Deckung

ausreichende Deckung

vorhanden

vorhanden

Weitere Erläuterungen (bei Bedarf):

Vorlage FB 45/0103/WP18 der Stadt Aachen

Ausdruck vom: 16.06.2021

Seite: 2/4

Klimarelevanz
Bedeutung der Maßnahme für den Klimaschutz/Bedeutung der Maßnahme für die
Klimafolgenanpassung (in den freien Feldern ankreuzen)
Zur Relevanz der Maßnahme für den Klimaschutz
Die Maßnahme hat folgende Relevanz:
keine

positiv

negativ

nicht eindeutig

groß

nicht ermittelbar

x
Der Effekt auf die CO2-Emissionen ist:
gering

mittel

Zur Relevanz der Maßnahme für die Klimafolgenanpassung
Die Maßnahme hat folgende Relevanz:
keine

positiv

negativ

nicht eindeutig

x
Größenordnung der Effekte
Wenn quantitative Auswirkungen ermittelbar sind, sind die Felder entsprechend anzukreuzen.
Die CO2-Einsparung durch die Maßnahme ist (bei positiven Maßnahmen):
gering
mittel
groß

unter 80 t / Jahr (0,1% des jährl. Einsparziels)
80 t bis ca. 770 t / Jahr (0,1% bis 1% des jährl. Einsparziels)
mehr als 770 t / Jahr (über 1% des jährl. Einsparziels)

Die Erhöhung der CO2-Emissionen durch die Maßnahme ist (bei negativen Maßnahmen):
gering
mittel
groß

unter 80 t / Jahr (0,1% des jährl. Einsparziels)
80 bis ca. 770 t / Jahr (0,1% bis 1% des jährl. Einsparziels)
mehr als 770 t / Jahr (über 1% des jährl. Einsparziels)

Eine Kompensation der zusätzlich entstehenden CO2-Emissionen erfolgt:
vollständig
überwiegend (50% - 99%)
teilweise (1% - 49 %)
nicht
nicht bekannt
Vorlage FB 45/0103/WP18 der Stadt Aachen

Ausdruck vom: 16.06.2021

Seite: 3/4

Erläuterungen:
Im Februar 2021 ist die Arbeitshilfe zur „Durchführung von behördlichen Altersfeststellungsverfahren
gemäß § 42f SGB VIII“ (siehe Anlage) erschienen.
Herausgeber der oben benannten Arbeitshilfe sind die Landesjugendämter Rheinland und WestfalenLippe.
Gemeinsam mit Praktikern der öffentlichen Jugendhilfe – u.a. den Mitarbeitenden des
Sozialraumteams VIII - entstanden, informiert die Arbeitshilfe umfassend und Praxis-nah über die
Verfahrensweise im behördlichen Altersfeststellungsverfahren bei unbegleiteten (minderjährigen)
Ausländern.
Die jungen Menschen verlassen ihre Heimat und Familien oftmals nicht freiwillig, sondern Kriege,
Verfolgung und andere lebensbedrohende Situationen zwingen sie dazu, ihre Länder zu verlassen.
In Deutschland angekommen, hat die Altersfeststellung eine hohe Bedeutung für die jungen
Menschen, da sie weitreichende und lebensprägende Konsequenzen beinhaltet.
Die neue Arbeitshilfe soll dazu dienen, dass Mitarbeitende der Jugendämter und anderer Institutionen
sich noch professioneller mit dem Thema auseinander setzen, damit sie Orientierung bieten und
hierdurch noch mehr Handlungssicherheit den jungen Menschen auf dem Weg in eine sichere Zukunft
geben können.

Anlage:
Arbeitshilfe von LVR und LWL – Durchführung von behördlichen Altersfeststellungsverfahren gemäß §
42f SGV VIII

Vorlage FB 45/0103/WP18 der Stadt Aachen

Ausdruck vom: 16.06.2021

Seite: 4/4

LVR-Landesjugendamt Rheinland
LWL-Landesjugendamt'Westfalen

Arbeitshilfe
Durchführung von behördlichen
Altersfestste 11 u n gsverf a h re n
gemäß §42fSGB VIII

UTWI

LWL

Qualität für Menschen

Für die Menschen.
Für Westfalen-Lippe.

Impressum
Herausgeber:
Landschaftsverband Rheinland '

Landschaftsverband Westfalen Lippe

LVR-Landesjugendamt Rheinland

LWL-Landesjugendarnt Westfalen

50663 Köln-

48133 Münster

www.jugend.lvr.de

www.lwl-landesjugendamt.de

Verantwortlich:
Birgit Westers, Landesrätin LWL-Landesjugendamt Westfalen
Lorenz Bahr-Hedemann, Landesrat LVR-Landesjugendamt Rheinland

Redaktion:
Antje Fasse

Tel.: 0251 591-5780

Philip Schützeberg

Tel.: 0221 809-6397

Layout:

Druck:

Andreas Gleis, Umschlag

LVR-Druckerei - Inklusionsabteilung, Tel 0221 809-2442

André Gösecke, Innenteil

Druckerei Kettler, Bönen

Titelfoto: istock.com, santypan
Münster / Köln, im Februar 2021

Arbeitshilfe
Durchführung von behördlichen
Altersfeststellungsverfahren gemäß
§42f SGB VIII
Gemeinsam herausgegeben:
LVR-Landesjugendamt Rheinland
LWL-Landesjugendamt Westfalen

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis
Impressum

2

Inhaltsverzeichnis

5

1

Einleitung

7

2

Durchführung der Altersfeststellung gemäß § 42f SGB VIII

8

2.1 Die Klärung der Zuständigkeit

8

2.2 Die Einsichtnahme in Ausweispapiere

9

2.3 Die qualifizierte Inaugenscheinnahme

9

2.3.1 Der Ablauf der qualifizierten Inaugenscheinnahme

10

2.3.2. Der Umgang mit Zweifelsfällen

11

2.4 Die ärztliche Untersuchung

.

12

2.5 Die Festlegung des Geburtsdatums

13

3

Ermittlungs* und Mitwirkungspflichten

14

4

Rechtscharakter der behördlichen Altersfeststellung

15

5

Widerspruch gegen die Entscheidung des Jugendamtes

16

6

Nachträgliche Feststellung der Volljährigkeit

18

7

Aufgabenwahrnehmung im Jugendamt - Zusammenarbeit mit externen Stellen

19

7.1 Aufgabenwahrnehmung im Jugendamt

19

7.2 Zusammenarbeit mit externen Fachstellen oder Behörden

20

8

Kosten des medizinischen Altersfeststellungsverfahrens - Kostenerstattung

22

9

Weiterführende Literatur, Rechtsprechung, Links

23

Anlagen
§ 42f Behördliches Verfahren zur Altersfeststellung

24
24

Richtlinie 201 1/95/EU (Qualifikationsrichtlinie) des Europäischen Parlaments
und des Rates vom 13. Dezember 2011

24

EU Verordnung 604/2013 vom 26. Juni 2013 (Dublin lll-VO)

25

Aufnahmerichtline 2013/32/ EU vom 26. Juni 2013

25

5

1. Einleitung

1

Einleitung

Die Altersfeststellung von unbegleiteten

feststellung neu geregelt hat. Ergänzend

ausländischen Minderjährigen ist für die

wurden die Ausführungsgesetze der Län­

Jugendämter tägliche Praxis, Viele Jugend­

der geändert, in NRW das 5. Ausführungs­

ämter haben sowohl eine eigene Expertise

gesetz zum KJHG. All diese Regelungen

wie auch eigene kommunale Arbeitsstarv

hatten zur Folge, dass die Jugendämter

dards entwickelt.

in kurzer Zeit erhebliche Umstellungen zu
realisieren hatten. Gleichzeitig gab es eine

Trotzdem stellt die Altersfeststellung die

sehr hohe personelle Auslastung aufgrund

betroffenen Jugendämter nach wie vor vor

der großen Anzahl einreisender schutzbe­

große Herausforderungen, insbesondere

dürftiger Personen.

in Zweifelsfällen. Das auch mit Blick auf
die uneinheitliche Rechtsprechung in die­

Diese Arbeitshilfe will Erkenntnisse aus der

ser Sache. Schlussendlich müssen aber die

Praxis zur Weiterentwicklung qualitativer

Jugendämter in jedem Einzelfall eine klare

Verfahren bei der behördlichen Altersfest­

Entscheidung zur Feststellung der Minder­
oder Volljährigkeit treffen.

stellung beschreiben. Diese sind Ergebnis
eines Qualitätsdialogs zur Altersfeststel­
lung, der vom Ministerium für Kinder, Fa­

Das Verfahren zur Versorgung von unbe­

milie, Flüchtlinge und Integration des Lan­

gleiteten

Minderjährigen

des Nordrhein-Westfalen initiiert und von

wurde im Jahr 2015 neu geregelt. Mit

den beiden Landesjugendämtern in NRW

dem Gesetz zur Verbesserung der Unter­

begleitet wurde. Die zwölf »Haupteinrei­

bringung, Versorgung und Betreuung aus­

se-Jugendämter«

ländischer Kinder und Jugendlicher wur­

haben ebenfalls an diesem Qualitätsdialog

den zahlreiche Vorschriften in das SGB VIII

teilgenommen. Die Arbeitshilfe stellt den

neu aufgenommen. Hierzu zählt auch §

Abschluss dieses Dialoges dar und fasst

42f SGB VIII, der das Verfahren zur Alters­

die gewonnenen Erkenntnisse zusammen.

ausländischen

Nordrhein-Westfalens

Birgit Westers

Lorenz Bahr-Hedemann

Landesrätin
LWL-Landesjugendamt Westfalen

Landesrat
LVR-Landesjugendamt Rheinland

7

2

Durchführung der Altersfest­
stellung gemäß § 42f SGB VIII

Das gesetzliche Altersfeststellungsverfah­

ist noch ungeklärt, ob es sich um eine min­

ren ist ein dreistufiges Verfahren, Es besteht

derjährige oder volljährige Person handelt.

aus der Einsichtnahme in die Ausweispapie­
re, der qualifizierten Inaugenscheinnahme

2.1

Die Klärung der Zuständigkeit

und der ärztlichen Untersuchung. Erfolgt
auf einer Stufe eine Altersfeststellung, ist

Das Jugendamt sollte sich zunächst verge­

das Verfahren beendet.

wissern, ob es für die vorläufige Inobhut­
nahme zuständig ist oder ob die Person

Die Altersfeststellung muss in allen Ver­

bereits einem anderen Jugendamt zuge­

fahrensschritten unter Achtung der Men­

wiesen wurde. Diese Klärung ist seit dem

schenwürde, der körperlichen Integrität

09, August 2019 durch die Aufnahme

und des Kindeswohls erfolgen,1 Die Ge­

der Jugendämter in § 22 Ausländerzent­

dass’ die

ral reg istergesetz (AZRG)4 erleichtert wor­

betroffene Person in das Verfahren ein­

den. Die Jugendämter können nun selbst

zubeziehen ist.2 Sie ist vom Jugendamt

Auskünfte aus dem AZR einholen. Durch

über die Vornahme der Altersfeststellung,

diese Auskünfte ist es den Jugendämtern

die Methode der Altersfeststellung sowie

möglich, Anhaltspunkte für einen Aufent­

über die möglichen Folgen der Alters­

halt im Bundesgebiet zu erlangen und ggf.

feststellung und die Folgen einer Verwei­

durch weitere Anfrage bei Verteilstellen

gerung der Mitwirkung bei der Sachver­

anderer Bundesländer bzw. örtlichen Ju­

setzesbegründung

stellt

klar,

haltsermittlung umfassend zu informieren

gendämtern zu ermitteln, ob für die Per­

und über ihre Rechte aufzuklären.3 Es ist

son bereits ein anderes Jugendamt zustän­

sicherzustellen, dass diese Informationen

dig ist. Das Altersfeststellungsverfahren

der ausländischen Person in einer ihr ver­

ist dann nicht erneut durchzuführen. Hin­

ständlichen Sprache mitgeteilt werden, z.

sichtlich der Unterbringung und Versor­

B. durch Anwesenheit eines Sprachmitt­

gung sollte mit dem Jugendamt Kontakt

lers. Zudem ist der ausländischen Person

aufgenommen werden, an das die Person

die Möglichkeit zu geben, eine Person ih­

bereits zugewiesen wurde.

res Vertrauens zu benachrichtigen.
Ergibt sich nach den Ermittlungen keine
Das Verfahren ist nach dem Vier-Augen-

Zuständigkeit eines anderen Jugendamtes,

Prinzip von mindestens zwei beruflich er­

ist gemäß § 88a Abs. 1 SGB VIII das Ju­

fahrenen Mitarbeiterinnen oder Mitarbei­

gendamt zuständig, in dessen Bereich sich

tern des Jugendamts durchzuführen.

das Kind oder der Jugendliche vor Beginn
der Maßnahme tatsächlich aufhält.

Altersfeststel­

Die sachliche Zuständigkeit des Jugend­

lungsverfahrens verbleibt die Person in der

amtes ergibt sich aus § 85 Abs, 1 SGB VIII

vorläufigen Inobhutnahme. In dieser Zeit

i. V. m. § 2 Abs, 3 Nr. 2 SGB VIII,

Während

des

gesamten

1

BT-Drs 18/6392, 20.

2

BT-Drs. 18/6392, 20

3

BT-Drs 18/6392, 20.

4

Weiteres zu § 22 AZRG sowie der notwendigen online-Registrierung s,u Ziff 7.2.

2 Durchführung der Altersfeststellung gemäß $ 421 SGB VIII

2.2

Die Einsichtnahme in Aus­
weispapiere

Der erste Schritt, des Altersfeststellungsverfahrens ist die Einsichtnahme in die
Ausweispapiere. Nach der Gesetzesbe­
gründung müssen auch „ähnliche Do­
kumente", aus denen das Alter und die
Identität der Person eindeutig hervorgehenr herangezogen werden,0 Dies sind mit
Ausweispapieren vergleichbare Dokumen­
te, die sowohl eine zweifelsfreie Bestim­
mung der Identität wie auch des Alters
ermöglichen. Die Bescheinigung über die
Meldung als Asyisuchender bzvv. der An­
kunftsnachweis zählen nicht hierzu.
Grundsätzlich finden sich nur wenige
Dokumente, die als „ähnliche Dokumen­
te'" und somit als gleichwertig zu Aus­
weispapieren angesehen werden körn
nen. Entscheidend ist, dass den Papieren
die gleiche Aussagekraft und die gleiche
Fälschungssicherheit zukommt wie den
Ausweispapieren. Aus diesem Grund sind
Unterlagen wie z. B. Auszüge aus dem
Familienregister, Geburtsurkunden oder
Schulzeugnisse keine Dokumente, die als
ähnliche Dokumente gewertet werden
können. Sie sind aber auf der nächsten
Stufe der Altersfeststellung, bei der qua­
lifizierten Inaugenscheinnahme, in die Ge­
samtwürdigung einzubeziehen.
Im Rahmen der Altersfeststellung besteht
gern. § 42f SGB VIII eine Ermittlungspflicht
des Jugendamtes im Hinblick auf die Klä­
rung der Echtheit der Ausweispapiere und
der ähnlichen Dokumente. Bei auftreten­
den Zweifeln sollte das Jugendamt in Zu­
sammenarbeit mit anderen Behörden (z.
B. mit Hilfe der Bundespolizei oder des
BAMF) die Dokumente auf Echtheit prüfen
bzw. einer Legalisation zuführen (hierüber
informiert unter anderem die Internetseite

des Auswärtigen Amtes5
6). Das Jugendamt
kann zudem für die Klärung der Echtheit
von ausländischen Dokumenten Amtshilfe
bei Deutschen Botschaften oder konsula­
rischen Vertretungen irn Ausland in An­
spruch nehmen (Urkundenüberprüfungs­
verfahren}. Auf den Internetseiten des
Auswärtigen Amtes kann ferner recher­
chiertwerden, bei welchen Staaten welche
Urkunden nicht überprüfbar oder nicht
anerkennungsfähig sind Vor Durchfüh­
rung der qualifizierten Inaugenscheinnah­
me sollten alle Erkenntnismöglichkeiten
zur Prüfung der Echtheit der vorgelegten
Ausweisdokumente ausgeschöpft sein.
Kann die Person keine Ausweisdokumente
oder ähnliche Dokumente vorlegen, ist a Is An­
haltspunkt für die weiteren Schritte die Selbst­
auskunft über das Alter zugrunde zu legen.

2.3

Die qualifizierte Inaugen­
scheinnahme

Die qualifizierte Inaugenscheinnahme soll
mithilfe der lachlichen Würdigung des
Gesamteindrucks einer Person eine hin­
reichende Bestimmung des Mindestalters
ermöglichen.
Der Gesetzgeber war sich bei Einführung
des § 42f SGB VIII bewusst, dass es kein
Verfahren gibt, um das Alter eines Men­
schen exakt zu bestimmen. Dies ist weder
auf medizinischem noch auf psychologi­
schem bzw. sozialpädagogischem Weg
möglich. Auch die medizinischen Verfah­
ren liefern nur Näherungswerte und be­
schranken sich im Ergebnis darauf, ein
Mindestalter anzugeben, das in rechtlicher
Hinsicht ausschlaggebend ist. Dennoch
hat der Gesetzgeber die qualifizierte Inau­
genscheinnahme in der Vorstellung einge­
führt, hierüber in einer Vielzahl von Fallen
eine hinreichend sichere Bestimmung des
Mindestalters zu ermöglichen. Er hat sich
damit ausdrücklich gegen eine medizini-

5 BT-DiS. 1826392,20.

6 http5:/Mwvv.flusi.vöertK|e5-a(nt.de/d<j/ufkunden/20072is#cüniem_i

9

sehe Untersuchung aller unbegleiteten
minderjährigen Flüchtlinge entschieden.
Oie qualifizierte Inaugenscheinnahme ist
ein ergebnisoffener Prozess, der mitunter
mehrere Gespräche umfassen kann. Wäh­
rend dieser Zeit verbleibt die Person in der
vorläufigen Inobhutnahme.

•

2.3.1 Der Ablauf der qualifizier­
ten Inaugenscheinnahme
Der Ablauf der qualifizierten Inaugen­
scheinnahme stellt sich wie folgt dar:
•
•

•

•

•

■

7

Die qualifizierte Inaugenscheinnah­
me muss - wie alle anderen Verfahrensschritte auch - unter Achtung der
Menschenwürde und der körperlichen
Integrität erfolgen.7
Das äußere Erscheinungsbild ist nach
nachvollziehbaren Kriterien zu würdi­
gen (u. a. Stimmlage, Gesichtszüge,
Bartwuchs etc.}.8 9Jegliche Form von
körperlicher Untersuchung durch das
Jugendamt ist rechtswidrig.
Die Plausibilität der gemachten Anga­
ben hinsichtlich des eigenen Alters, des
Alters der Eltern und Geschwister, der
Daten der Beschulung und ggf. der Be­
rufstätigkeit sowie das gezeigte Verhal­
ten müssen eingeschätzt werden.*
Sämtliche weiteren Angaben der Per­
son müssen in die Gesamtbeurteilung
einbezogen werden. Dies sind insbe­
sondere die im Gespräch gewonnenen
weiteren Informationen zum Entwick­
lungsstand bzw. zur Vita.
Die Gesetzesbegründung benennt zu­
sätzlich das Einholen von Auskünften
jeder Art, die Anhörung von Beteilig­
ten, Zeugen und Sachverständigen so­
wie die Beiziehung von Dokumenten,
Urkunden und Akten.10 11

■

•

•

•

Bestehen Widersprüche zu der selbst
getätigten Angabe, muss die Person
hiermit konfrontiert werden und ihr Ge­
legenheit gegeben werden, sich hierzu
zu äußern. Zu beachten ist, dass dem
Geburtsdatum in vielen Ländern nicht
die gleiche Bedeutung wie in Deutsch­
land beigemessen wird. Es kann daher
durchaus möglich sein, dass eine Per­
son aus Unkenntnis widersprüchliche
Angaben tätigt und die Schlussfolge­
rung, sie sei schon aus diesem Grund
volljährig, verfehlt ist."
Die betroffene Person ist in allen Ver­
fahrensschritten in das Verfahren ein­
zubeziehen und auf ihre Rechte hinzu­
weisen (§§ 42f Abs. 1 S. 2, 8 Abs. 1
SGB VIII).
Das Verfahren ist nach dem Vier-Augen-Prinzip von mindestens zwei so­
zialpädagogischen Fachkräften des
Jugendamtes durchzuführen. Eine De­
legation auf freie Träger der Jugendhil­
fe ist nicht zulässig,
Ein Sprachmittler ist hinzuzuziehen. Es
ist sicherzustellen, dass die Informatio­
nen der Person in einer ihr verständli­
chen Sprache mitgeteilt werden.
Der Person ist die Möglichkeit zu ge­
ben, eine Person ihres Vertrauens zu
benachrichtigen (§§ 42f Abs. I S. 2, 42
Abs. 2 S. 2 SGB VIII).
Der Verlauf des Gesprächs sowie die
Rahmenbedingungen sollten sorgfältig
dokumentiert werden. Sofern ein Ge­
richtsverfahren durchgeführt wird, das
sich auf die Altersfeststellung bezieht,
wird diese Dokumentation vom Gericht
herangezogen und geprüft.

BT-Drs IS/6392. S- 20

S Kçpea/Desaieimer irv Kunkel/K^iH-'rtyPaUûr. SG8 VIII. 7. Auflage 201S, § 42* Rn .3
9

Kepert/Dexheimer in: Kur.keVKepert/Pat;ar, 5G3 VIII, 7. Auflage 2C1S, ^ 42f Rn 5

10 BT-Drs. 1^6392, 20
11 Kepert/Dexhoimei m: Kunkel/Kepefl/PdUa». SGB Vfli, 7. Auflage 20Î8, § 421 Rn 3.

2 Durchführung der Altersfeststellung gemäß § 42f SGB VIII

2.3.2. Der Umgang mit Zweifels­
fällen

Darüber hinaus besteht die Problematik,
dass die Rechtsprechung der Oberver­
waltungsgerichte in den Bundesländern

ln § 42f Abs. 2 S. 1 SGB VIII findet sich

(derzeit) sehr uneinheitlich ist. Aus eini­

die Vorgabe, dass das Jugendamt in Zwei­

gen Gerichtsentscheidungen könnte ge-

felsfällen eine ärztliche Untersuchung zur

schlussfolgert werden, dass der Entschei­

Altersbestimmung zu veranlassen hat. In

dungsspielraum

diesen Fällen endet die Altersfeststellung

begrenzt ist. In diesen Fällen wird von

der

Jugendämter

sehr

nicht mit der qualifizierten Inaugenschein­

den Gerichten häufig eine ärztliche Un­

nahme. Sie ist vielmehr ein Zwischenschritt

tersuchung gefordert.'2 Andere Gerichts­

und hat zum Ergebnis, dass über die Fra­

entscheidungen wiederum erkennen den

ge der Minderjährigkeit oder Volljährigkeit

Entscheidungsspielraum des Jugendamtes

nicht sicher entschieden werden kann.

an und akzeptieren das Ergebnis der qua­
lifizierten

Inaugenscheinnahme auch

in

Der Begriff „Zweifelsfair ist ein unbe­

schwer zu beurteilenden Fällen.12
13 Alle Ge­

stimmter Rechtsbegriff und in Rechtspre­

richtsentscheidungen haben allerdings die

chung und juristischer Literatur nicht ein­

Gemeinsamkeit, dass der Entscheidungs­

deutig definiert. Für die Jugendämter ist

spielraum umso kleiner wird, je näher

es deshalb eine Herausforderung zu beur­

das Jugendamt eine Entscheidung an der

teilen, ob genügend Erkenntnisse für eine

Grenze zwischen Volljährigkeit und Min­

eigene Altersfeststellung vorliegen oder

derjährigkeit trifft. Die Gerichte hinterfra­

ob eine ärztliche Untersuchung zu veran­

gen in diesen Fällen sehr intensiv, ob das

lassen ist. Für diese Entscheidung können

Jugendamt aufgrund „handfester" Krite­

keine

rechtssicheren

rien eine solche Abgrenzung tatsächlich

Kriterien entwickelt werden, die auf alle

treffen konnte, Sofern in diesem Grenzbe­

Fallgestaltungen

reich auch nur geringe Zweifel verbleiben,

allgemeingültigen

schematische

Anwen­

dung finden. Dies resultiert aus der enor­

kann davon ausgegangen werden, dass

men Unterschiedlichkeit der auftretenden

von den Gerichten eine ärztliche Untersu­

Fälle. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbei­

chung eingefordert wird, sollte es zu ei­

ter in den Jugendämtern haben vielmehr

nem Gerichtsverfahren kommen.

mithilfe ihrer Qualifikation und ihrer in­
beurteilen,

Abgesehen von diesem Grenzbereich zur

welche landestypischen oder geschlecht­

terkulturellen

Erfahrung

zu

Volljährigkeit können sich Zweifel zudem

stypischen Besonderheiten irn Einzelfall zu

in folgenden Fällen ergeben (beispielhafte

berücksichtigen sind. Es lassen sich keine

Auflistung):

pauschalen Aussagen dazu finden, wel­

•

che Rückschlüsse z. B. aufgrund des Aus­

Es liegen abweichende Altersangaben
bei anderen Behörden oder Stellen vor.

sehens, des Bartwuchses, der Lebenser­

Hierzu sind unter anderem die Anga­

fahrung, des selbstbewussten Auftretens

ben heranzuziehen, die in den Daten­

usw. zu ziehen sind.

banken der örtlichen Ausländerbehör­
de vorliegen (z. B. EURODAC).

12 BayVGH, Beschluss vom 16.8.2016, Az. 12 CS 16.1550, juris Rn. 18; BayVGH, Beschluss vom 18.8.2016. Ai. 12 CE
16.1570, juris Rn. 14.
13 OVG Bremen, Urteil vom 21.9.2016, Az. 1 B 164/16, juris Rn. 15; ÛVG Bremen, Beschluss vom 22.2.2016, Az. 1 B
303/15; zustimmend Kepert/Dexheimer in: Kunkel/Kepert/Patlar, SGB VIII, 7, Auflage 2018. § 42f Rn. 5.

11

•

•

•

Es gab bereits in der Vergangenheit

zin und die Zentrale Ethikkommission bei

Altersfeststellungsverfahren, die zu ei­

der Bundesärztekammer stimmen hierbei

nem abweichenden Ergebnis führten.
Es finden sich neue Hinweise oder Un­

im Ergebnis nicht überein. Einen vertie­
fenden Überblick über den Streitstand

terlagen, aus denen ein Alter hervor­

verschafft die Veröffentlichung des Wis­

geht, das nicht dem Ergebnis der Ein­

senschaftlichen Dienstes des Bundestages

schätzung entspricht.

vom 25.01.2018, Methoden zur forensi­

Die

Einschätzungen

der

beteiligten

Fachkräfte des Jugendamtes stimmen

schen Altersdiagnostik, Az. WD 9 - 3000
-001/18.

nicht überein.
Für einen rechtssicheren Einsatz der quali­

Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die von

fizierten Inaugenscheinnahme ist daher zu

der Arbeitsgemeinschaft für Forensische

beachten, dass sie stets mit einem eindeu­

Altersdiagnostik

tigen und gut dokumentierten Ergebnis

schaft

für

der Deutschen

Rechtsmedizin

Gesell­

entwickelten

abschließen muss. Das Ergebnis kann dar­

Standards16 juristisch akzeptiert sind. Die

in liegen, dass sich das Jugendamt für die

Arbeitsgemeinschaft

Volljährigkeit, die Minderjährigkeit oder

Prof. Dr. med. Schmeling (Universitätskli­

das Vorliegen eines Zweifelsfalles entschei­

nikum Münster) hat auf ihrer Internetseite

det, Liegt ein Zweifelsfall vor, ist zwingend

Empfehlungen veröffentlicht. Es bestehen

eine ärztliche Untersuchung durchzufüh­

in rechtlicher Hinsicht keine Bedenken ge­

unter Vorsitz

von

ren.14 Das Jugendamt hat in diesem Fall

gen Röntgen- bzw. CT-Untersuchungen

kein Ermessen.

von

Handwurzelknochen, Weisheitszäh­

nen und Schlüsselbein,

2.4

Die ärztliche Untersuchung
Die

Gemäß § 42f Abs. 2 5. 1 SGB VIII hat das

medizinischen

Verfahren

gelangen

stets zur Feststellung eines Mindestalters,

Jugendamt auf Antrag des Betroffenen,

das rechtlich maßgeblich ist, In aller Regel

seines Vertreters oder von Amts wegen in

wird ein wahrscheinliches Alter bestimmt

Zweifelsfällen eine ärztliche Untersuchung

und ein

zur Altersbestimmung zu veranlassen.

gen, der dem aktuellen wissenschaftlichen

„Sicherheitszuschlag"

abgezo­

Stand entspricht. Grund hierfür ist, dass
Die ärztliche Untersuchung ist mit den

das im medizinischen Verfahren ermittelte

schonendsten und soweit möglich zuver­

wahrscheinliche Alter keine ausreichen­

lässigsten

von

qualifizierten

de Gewähr für die Richtigkeit bietet. Ein

Fachkräften

durchzufüh­

anerkanntes medizinisches Verfahren, mit

Methoden

medizinischen

ren.15 Genitaluntersuchungen sind ausge­

dem das Alter eines Menschen eindeutig

schlossen, Welche Untersuchungsmetho­

bestimmt werden kann, existiert derzeit

den anzuwenden sind, ist in § 42f SGB

nicht.

VIII nicht vorgegeben und unter Medizine­
rinnen und Medizinern umstritten. In der

Die Aufklärungspflichten gegenüber der

medizinischen Fachwelt bestehen ethische

betroffenen Person sind im Fall der ärzt­

Diskussionen über die Auswahl der Unter­

lichen Untersuchung erhöht. Sie ist ge­

suchungsmethoden.

Die Arbeitsgemein­

mäß § 42f Abs. 2 S. 2 SGB VIII durch das

schaft für Forensische Altersdiagnostik der

Jugendamt umfassend über die Untersu­

Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedi­

chungsmethode und über die möglichen

14 vgl. hierzu den Gesetzestext in § 42f Abs. 2 S. 1 SGI3 VIII „hat ... zu veranlassen”,
15 BT-Drs 18/6392, S. 21.
16 httpsV/www,dgrm.de/arbeitsgemeinschaften/fQrensische-altersdiagnostik/

2 Durchführung dor Altersfeststellung gemäß § 42f SGB VIII

Folgen der Altersbestimmung aufzuklären.
Sie muss gemäß § 42f Abs. 2 S. 3 SGB VIII

genauen Tag der Geburt nicht kennt, darf
im Übrigen nicht pauschal als unglaubhaft

zusätzlich über die Folgen einer Weige­

beurteilt werden, da in vielen anderen

rung, sich der ärztlichen Untersuchung zu

Ländern die Bedeutung des Geburtstages

unterziehen, aufgeklärt werden.

deutlich geringer ist als in Deutschland.

Die Untersuchung darf nur mit Einwilli­

Darüber hinaus gibt es die Fälle, in denen

gung der betroffenen Person und ihres

weder Erkenntnisse zu einem konkreten

Vertreters durchgeführt werden,17

Geburtstag noch zu einem konkreten Ge­
burtsjahr vorliegen. Sofern das Jugendamt

2.5

Die Festlegung des
Geburtsdatums

eine eigene Entscheidung über das Alter
trifft, also kein Zweifelsfall vorliegt, hat es
in diesen Fällen den Geburtstag der Person

Trifft das Jugendamt nach Abschluss des

festzulegen.

Anhand der Altersfeststel­

Verfahrens gemäß § 42f 5GB VIII aufgrund

lung, also z. B, dass die Person 14 Jahre

der gewonnenen Erkenntnisse eine Fest­

alt ist, muss das Geburtsjahr ausgerechnet

stellung über das Alter der Person, hat es

werden. In diesem Jahr ist aus Gründen

ein Geburtsdatum festzulegen, sofern sich

des Minderjährigenschutzes als Geburts­

dieses nicht aus Dokumenten ergibt.

tag der Tag festzulegen, der der minder­
jährigen Person den meisten Schutz bietet.

Liegen zu dem konkreten Kalendertag der

Dies ist der Tag der Sachbearbeitung durch

Geburt (z. B:- der 24.07.2008) plausible

das Jugendamt, da in diesem Fall nahe­

Angaben oder Erkenntnisse vor, die sich

zu ein vollständiges Jahr verbleibt, bevor

mit den übrigen Erkenntnissen decken,

die Person ein Jahr älter wird. Es sollte in

ist dieser Tag als Datum zu übernehmen.

diesem Fall keine pauschale Festlegung
auf den 31.12, (oder den 01.01.) des be­

Kann hingegen nur ein Geburtsjahr plausi­
bel festgestellt oder anhand der ärztlichen

rechneten

Untersuchung errechnet werden (z. B. „ir­

werden. Ansonsten wäre es vom Datum

gendwann im Jahr 2008"), nicht aber ein

der Fallbearbeitung abhängig, ob sich die

konkreter Kalendertag, ist der 31.12. die­

Person länger oder kürzer in dem einge­

ses Jahres zu wählen. Dies basiert auf dem

schätzten Lebensalter befindet. Bei einer

Gedanken des größtmöglichen Minderjäh­

Fallbearbeitung kurz vor Jahresende wür­

Geburtsjahres

vorgenommen

rigenschutzes und entspricht der Recht­

de die Person bereits ein paar Tage später

sprechung

ein Jahr älter werden, wenn der 31.12. als

des

Bundesverwaltungsge­

richts.18 Die Tatsache, dass die Person den

17 OVG Bremen. Beschluss vom 10.05.2020, Az. 1 B 32/19.
18 BVerwG, Urteil vom 31.07.1984, Az. 9 c 156/83

Geburtsdatum festgelegt werden würde.

13

3

Ermittlungs- und Mitwirkungs­
pflichten

Im SGB VIII, 5GB X und SGB I sind in Bezug

Nach dem Abschluss des Verfahrens gern.

auf die vorzunehmende Altersfeststellung

§ 42f 5GB VIII oder nach Beendigung der

verschiedene

vorläufigen Inobhutnahme gelten die all­

Ermittlungs-

und

Mitwir-

kungspflichten zu beachten.

gemeinen Regelungen des SGB I zur Amts­
ermittlung. Dies bedeutet unter anderem,

Da der Minderjährigenschutz nach den

dass das Jugendamt die Pflicht hat, Hin­

§§ 42a ff. SGB VIII sowie internationalen
Übereinkommen Vorrang hat19, besteht die

weisen zur Feststellung des Alters einer
Person vor, aber auch nach der Durchfüh­

Verpflichtung zu vorläufigen Schutzmaß­

rung des Verfahrens nach § 42f SGB VIII

nahmen bereits bei „nur" möglicherweise

weiterhin nachzugehen. Es muss neue Tat­

minderjährigen Personen. Es dürfen vorläu­

sachen oder neue Nachweise überprüfen

fige Schutzmaßnahmen - auch die vorläu­

(z. B. Urkunden, Aussagen von Personen

fige Inobhutnahme - nicht von einer Mit­

oder des Betroffenen) und dabei ebenfalls

wirkung oder Bereitschaft der betroffenen

Anhörungsrechte und Mitwirkungspflich­

Person abhängig gemacht werden. Ist nicht

ten von Betroffenen nach §§ 60 ff. SGB I

auszuschließen, dass die Person minderjäh­

beachten, wenn Aufgaben der Jugendhil­

rig ist, hat das Jugendamt kein Ermessen.

fe wahrgenommen bzw. Leistungen bean­

Es muss die Person vorläufig in Obhut neh­

tragt oder bezogen werden.

men.
Ergeben sich also erst nach Abschluss des
Die Folgen fehlender Mitwirkung bei einer

Verfahrens gern. § 42f SGB VIII neue Tat­

Altersfeststellung regelt § 42f SGB VIII. Er­

sachen oder Hinweise, die das Alter be­

gänzt werden diese durch die o.g. allge­

treffen, dann muss das Jugendamt nach

meinen Regelungen im SGB I.

pflichtgemäßem Ermessen die Ermittlun­
gen wieder aufzunehmen und die Alters­

Die Regelung des § 42f SGB VIII ist eine

angaben ggf. abändern. Das Jugendamt

Spezialvorschrift für die Ermittlungen bei

ist dabei nicht an getroffene Feststellun­

Durchführung

gen anderer Behörden gebunden (z. B. der

der behördlichen

Alters­

feststellung und damit vorrangig vor den

Gerichte). Es muss aber deren Erkenntnisse

allgemeinen

Re­

würdigen, wenn sie ihm bekannt werden,

gelungen zur Amtsermittlung anwendbar,

z. B. ein ärztliches Gutachten, das im Rah­

verwaltungsrechtlichen

solange das Verfahren nach § 42f SGB VIII

men des Asylverfahrens oder bei einem

noch nicht abgeschlossen ist. 20

familiengerichtlichen Verfahren zur Bestel­
lung eines Vormunds eingeholt wurde.

19 Vgl Anlago.
20 Für die Klärung im Vorfahren gemäß der §§ 42a ff, SGB VIII besteht das Erfordornis der erkennungsdienstlichon
Behandlung des/der Betroffenen bei Zweifeln über die Identität. Diese Pflicht ist durch Änderung in § 42a Abs. 3 SGB
VIII durch Ait. 6 des Zweiten Gesetz zur Verbesserung der Registrierung und des Datenaustausches zu aufenthaltsund asylrochtlichen Zwecken (Zweites Datenaustauschverbesserungsgesetz - 2 DAVG) in das SGB VIII aufgenommen
worden und trat am 09 08.2019 in Kraft.

3 Ermittlungs- und Mliw rkungspflithten

Es gelten gern. § 42f Abs. 2 S, 4 SGB VIII
zudem die Regelungen der §§ 60, 62 und
65 bis 67 SGB I.

15

4

Rechtscharakter der behördlichen
Altersfeststellung

Die behördliche feststellung eines be­ Verpflichtung zur Amtsermittlung gemäß
§ 20 SGB X gewürdigt werden.”
stimmten Lebensalters durch das Jugend­
amt stellt den Abschluss eines Verfahrens
gern. § 42f SGB VIII dar. Die Feststellung
Eine andere Behörde / ein Gericht kann
damit aufgrund eigener Einschätzung zu
ist kein Verwaltungsakt. Es handelt sich
einer abweichenden Altersfeststellung
vielmehr bei diesem Verfahren um ein
kommen und damit von einem anderen
reines Verwaltungshandeln. Das Ergebnis
führt dann entweder - bei Feststellung der
Alter der/des Betroffenen ausgehem
Volljährigkeit - zu einem Verwaltungsakt,
Daher sind an die Durchführung der Ver­
mit dem die Beendigung der vorläufigen
Inobhutnahme verfügt wird, oder, falls das
fahren gern. § 42f SGB VIII, an die Doku­
mentation der Erkenntnisse und an die Be­
Jugendamt zur Feststellung der Minder­
jährigkeit gelangt, zu einer Inobhutnah­ gründung der getroffenen Entscheidung
meverfügung.7’ Nur diese Behördenent­ sehr hohe Anforderungen zu stellen, da­
scheidungen stellen Verwaltungsakte des
mit die getroffene Entscheidung des Ju­
Jugendamtes gern. § 31 SGB X dar und
gendamtes für andere Stellen nachträglich
sind mit Rechtsmitteln angreifbar. Soweit
nachvollziehbar ist und eine einheitliche
Entscheidung erreicht werden kann.*3
die Behörde die Durchführung eines Al­
tersfeststellungsverfahrens abiehnen wür­
Somit kann auch eine Entscheidung des
de besteht für Betroffene daher nicht die
Familiengerichts
im Verfahren zur Anord­
Möglichkeit eines Widerspruchs,
Die Feststellung des Jugendamtes bezüg­ nung einer Vormundschaft und die Er­
mittlungen, die das Familiengericht zur
lich des Lebensalters des/der Betroffenen
nach Abschluss des Verfahrens gern. § 42f
Minderjährigkeit selbst unternimmt, die
Durchführung des behördlichen Alters­
5GB VIII entfaltet als reines Verwaltungs­
feststellungsverfahrens gern. § 42f SGB
handeln daher auch keine „BindungswirVIII nicht ersetzen. Das Jugendamt muss
kung" gegenüber anderen Stellen. Jede
andere Behörde - z. B. das Familienge­ vor der Beantragung/Anregung auf An­
richt oder auch ein anderes Jugendamt - ordnung der Vormundschaft nach Durch­
hat die Verpflichtung zur Ermittlung von
führung des Verfahrens gern. § 42f SGB
Tatsachen, die für die Wahrnehmung der VIII selbst die Erkenntnis erlangt haben,
dass es sich um eine/einen Minderjährige/n
Aufgaben erforderlich sind. Eine bereits
handelt.
getroffene Altersfeststellung anderer Stel
len muss vom Jugendamt aufgrund der21 22 23

21 Ferner ist nach Feststellung der Winderjahrigkeiî such ggf dss Verfahren nach § 42a SGB VIII weiter zu führen
22 Vgl VG Stiele. Beschloss vom 13 09.2017, 4 B 29&7G7. „Das Jugendamt kann seiner Entscheidung die AllerSfeststellung eines anderen Jugendamtes zu Grunde legen, soweit diese den fachlichen Standards entspricht, insbesondere eine
nachvollziehbare und überprüfbare Dokumentation des Ergebnisses der Altersfeststellung enthalt Bloße Feststellungen
zur Volljährigkeit des Betroffenen, ohne konkrete Angaben insbesondere zu körperlichen Merkmalen und zur Begrün­
dung der diesen Feststellungen zu Grunde liegenden Erwägungen, erfüll en diese Standards nicht "
23 Vgl. hierzu AlterseinschäUung; Abgrenzung zwischen Alceisfeststellung des Jugendamts bzvv. des Familiengerichts;
Neufestsetzung des Alters, wenn Sich die ursprüngliche Einschätzung als falsch herausstellt; JAmt 20'6, 5- 255 ff,

!S Widerspruch gegen die Entscheidung des Jugendamtes

5

Widerspruch gegen die
Entscheidung des Jugendamtes

Wird aufgrund des Ergebnisses des Al­

entfällt. Die Folge ist, dass die behördli­

tersfeststellungsverfahrens durch das Ju­

che Entscheidung unmittelbar wirkt - ein

gendamt ein belastender Verwaltungsakt

Rechtsmittel gegen den Verwaltungsakt,

erlassen (s. o., Beendigung der vorläufigen

mit der das Jugendamt die Beendigung

Inobhutnahme),

der vorläufigen

wäre ein

Widerspruch

Inobhutnahme

verfügt

hiergegen möglich. Nach einer ablehnen­

oder mit der die Verfügung über eine In­

den Entscheidung des Jugendamtes über

obhutnahme abgelehnt wird, würde also

diesen Widerspruch könnte ggf. Verpflich­

sofortige Wirkung entfalten.

tungsklage beim Verwaltungsgericht erho­
ben werden.
Grundsätzlich

haben

Widerspruch

und

Klage gegen eine behördliche Entschei­
dung aufschiebende Wirkung. Jedoch
aufschiebende Wirkung von Widerspruch
und Klage gegen die Entscheidung der
Behörde

im . Altersfeststellungsverfahren

17

6

Nachträgliche Feststellung der
Volljährigkeit

Sofern sich während der Inobhutnahme
oder während einer Leistungsgewährung
nachträglich herausstellt, dass der/die
Betroffene bereits volljährig war oder es
geworden ist, wirken sich diese nachträg­
lichen Feststellungen verfahrensrechtlich
unmittelbar und abhängig vom Stand des
jeweiligen Verfahrens aus:

•

•
■

■
•
•

Eine vorläufige bzw. eine Inobhutnah­
me wären unmittelbar zu beenden.
Eine Hilfe für Minderjährige muss been­
det werden.

Bei Vorliegen der Voraussetzungen
kann eine Hilfe gern. §§ 41 i. V. m. 27
ff. SGB VIII gewährt werden.
Eine Beendigung der bestellten Vor­
mundschaft wäre anzuregen.
Die/der Betroffene müsste selbst im
Asyl- und Aufenthaltsverfahren han­
deln.
Ggf. wäre eine Überleitung in Leistun­
gen nach dem Asylbewerberleistungs­
gesetz durch die/den Betroffenen zu
beantragen.

7 Aufgaaenwahrnehrr.ung inn Jugendamt - Zusammenarbeit nvt ey.teriten Stellen

7

Aufgabenwahrnehmung im
Jugendamt - Zusammenarbeit
mit externen Stellen

7.1

Aufgabenwahrnehmung im
Jugendamt

Das Verfahren der Altersfeststellung ist
durch hierfür qualifizierte Fachkräfte
durchzuführen. Es sollte sichergestellt wer­
den, dass den Betroffenen während der
Altersfeststellungsverfahren die Verfah­
rensschritte, die eingesetzten Methoden
und die Folgen dieser Verfahren verständ­
lich gemacht werden. Dies sollte mithilfe
von Sprachmittlern erläutert werden. Zu­
dem sollten die Verfahren sich auch nach
ihren Bedürfnissen richten, dies bedeutet
z. B., dass ausreichend Zeit für Fragen,
Erklärungen gegeben wird oder sie Gele­
genheit erhalten, eine Vertrauensperson
zu informieren, die sie unter Umständen
begleitet und dass sichergestellt ist, dass
der/die Betroffene über ihre Rechte in dem
Verfahren umfassend aufgeklärt wurde.
Wesentlich kann ferner die Berücksichti­
gung z. B. von vermuteten belastenden
Erlebnissen der Betroffenen, der soziokulturellen Herkunft oder des Bildungs­
stands sein und es sollte die Überlegung
vorausgehen, ob die Verfahren durch die
Mitwirkung von männlichen oder weibli­
chen Fachkräften geführt werden sollten.
Neben Erfahrung bei der kindeswohlori­
entierten Durchführung der Altersfeststeilungsverfähren sollten bei den Fachkräften
auch entweder eigene Kenntnisse über
Bedingungen der Herkunftsländer bereits
vorliegen oder sie sollten diese im Zusam­
menhang mit dem jeweiligen Verfahren

hinzuziehen, da dieses Wissen für wichti­
ge Fragestellungen und Erkenntnisse von
Relevanz sein kann.
Von großer Bedeutung für die Verfahren
ist außerdem, dass die Feststellungen, Ent­
scheidungen die getroffen bzw. Vorausset­
zungen, unter denen sie geführt wurden,
umfassend und nachvollziehbar dokumen­
tiert worden sind.2“ Ein großer Vorteil von
Dokumentationsbögen/Checklisten
ist,
dass dort aufgenommene Kriterien und
Fragen umfassend vorbereitet sind und sie
sichern, dass kein Aspekt übersehen wird.
Ein Nachteil kann sein, dass Besonderhei­
ten oder zu Ergänzendes darin nicht auf­
genommen sind. Vorhandene Bögen soll­
ten daher Platz lassen für die individuellen
Erkenntnisse und Berichte.
Bei vielen Jugendämtern werden diese
Verfahren durch spezialisierte Fachkräfte
durchgeführt. Dies ist eines der Ergebnisse
des „Qualitätsdialogs zu den Altersfest­
stellungsverfahren gern, § 42f 5GB VW",
der auf Initiative des Ministeriums für Kin­
der, Familie. Flüchtlinge und Integration
des Landes NRW in Zusammenarbeit mit
den 12 „Haupteinreise"-Jugendämtern in
NRW sowie den beiden NRW-Landesjugendämtern durchgeführt wurde. In der
Abfrage besaßen diese Fachkräfte entwe­
der einen eigenen Migrationshintergrund
und/oder besondere Sprachkenntnisse,
ferner weitere besondere pädagogische
Kenntnisse/Erfahrungen.

2d Vgl. hierzu: https //b'Umf.de/mater!aValtersemKha£tzung-rechtl!Cher-/ahmei>fachliche-5tdnddrdS'Unc!-htrtv/elsc-fuer-

die-prdx:y

19

Drei Vierte! der befragten Jugendämter
führten die Verfahren nach dem „Vier-Augen-Prinzip1' durch, die Hälfte unter Beach­
tung veröffentlichter Qualitätsstandards.
Teilweise wurden eigene Checklisten und
Verfahrens-Dokumentationen entwickelt,
z. T. auf einem eigenen Fragebogen, zum
Teil auf Erstaufnahmebogen, in wenigen
Fällen in gesonderten Vermerken. Nahe­
zu alle orientierten sich an den fachlichen
Standards des Bundesfachverbandes UmF,
(vgl. Fn. 23). Bedeutsam ist dies, da die
Befragung sich auf einen Zeitraum bezog,
in dem wegen der großen Anzahl einrei­
sender junger Menschen und wegen der
Einführung des neuen Verteilverfahrens
für viele Jugendämter - z. T, auch für die
an der Befragung teilnehmenden - diese
Qualität unter den genannten Bedingun­
gen bereits entwickelt und vorgehalten
werden musste.
Zur Dauer der Verfahren wurden dabei
sehr unterschiedliche Angaben gemacht:
Knapp die Hälfte der Befragten gab eine
Dauer von etwa einer Woche an, ein Vier­
tel führte dieses Verfahren in der Regel an
einem Tag durch. Die überwiegende An­
zahl teilte mit. dass durchschnittlich 1-3
Gespräche mit der/dem Betroffenen ge­
führt würden.
Drei Jugendämter gaben an, spezielle
Fortbildungen für die Durchführung der
Verfahren gern. § 42f SGB VIII besucht zu
haben - alle teilten im Qualitätsdialog mit,
dass es an Fortbildungsangeboten gefehlt
habe.25 26

7.2.

Zusammenarbeit mit

externen Fachstellen oder
Behörden
Aufgrund der im August 2019 neu in
§ 42a Abs. 3 SGB VIII aufgenommenen
gesetzlichen Verpflichtung der Jugendäm­
ter, bei Zweifeln über die Identität die er­
kennungsdienstliche Behandlung des/der
Betroffenen umgehend zu veranlassen, ist
davon auszugehen, dass die ED-Verfahren
nun regelmäßig - durch die Polizei oder
die Ausländerbehörde vor Ort - bereits im
Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme
durchgeführt werden.
Ferner kann durch die Jugendämter direkt
eine Anfrage beim Ausländerzentralregis­
ter (AZR} gestellt werden, um Auskunft
über die Person, die Einreise und den bis­
herigen Aufenthalt der/des Betroffenen
ins/im Bundesgebiet zu erhalten. Not­
wendig ist die (online) Zulassung zum
Datenabruf im automatisierten Verfahren
gern. § 22 AZRG i. V m. § 10 AZRG-DV.
Danach kann eine öffentliche Stelle zum
Datenabruf im automatisierten Verfah­
ren zugelassen werden, sofern sie in § 22
AZRG genannt ist und die weiteren ges.
Voraussetzungen gegeben sind.25 In § 22
Abs. 1 Nr. 8c AZRG sind Jugendämter nun­
mehr aufgenommen. Durch die Zulassung
wird der Behörde, hier dem Jugendamt,
eine Behördenkennzahl gegeben, über die
es direkt Daten aus dem Register abrufen
kann.
In nicht wenigen Verfahren liefern diese
Auskünfte maßgebliche Hinweise zur Klä­
rung von Staatsangehörigkeiten, Perso­
nenidentitäten, Altersangaben oder ggf.
bereits bestehenden jugendhilferechtlithen Zuständigkeiten, da Einreiseorte
bzw. vorausgehende längere Aufenthalte

25 Gelragt wurde in Vorbereitung eines Oualilâtsdialoçs am 1 ? 10 2018 nach den beim Träger eingesetzten Jnstiumenten des Altersfestsiellungsverfahrens"
26 Näher« zum automatisierten httpsV/vAVW.bva.bund deyDE/Das-SV/VAulgaben/A/Auslaenderxentralregister/datenabruf/
datenabruf_ node htrnl,isessianid=DFßäClC7C5096O101A521 A3ÎOBSIFAOFÉE.inuanet261

7 Aufgabenwahrnehmung im Jugendamt - Zusammenarbeit mit externen Steilen

im Bundesgebiet ersichtlich werden. Diese
verbindlichen Abfragen bzw. Registrierun­
gen sollten daher grds. in jedem Fail durch
Kontaktierung der Ausländerbehörden so­
wie der Polizei erfolgen,27
Nicht selten ist, wie oben dargestellt, auch
eine Anfrage bei deutschen Vertretungen
im Ausland oder auch bei Vertretungen
ausländischer Staaten im Inland hilfreich
bzw. erforderlich, nicht nur, wenn es um
Fragen zu vorliegenden bzw. zu mögli­
cherweise zu erhaltenden Urkunden geht.

Auch Daten, Berichte oder Auskünfte von
weiteren Behörden, z. ß. dem Bundesamt
für Migration und Flüchtlinge, der Bun­
despolizei, von Beratungsstellen, Migrati­
onsnetzwerken oder EU-Behörden/Büros
können für die Aufklärung bestimmter
Tatsachen hilfreich sein.

27 https//www b'/a buntJ dç/rJh./Das-eWAufgdbeo/A'AusIacndefZontidiiegistèr/azr.rtodé.htmi

21

8

Kosten des medizinischen
Altersfeststellungsverfahrens Kostenerstattung

Erstattet werden gern. § 89f SGB VIII die
Sachkosten der Hilfegewährung. Sachkos­
ten sind alle Kosten {Nettoaufwendungen)
eines erstattungsberechtigten Trägers, die
einer individuellen Maßnahme (Aufgaben
i. S. d. § 2 SGB VIII) nach dem SGB VIII
konkret zugeordnet werden können.

Aufgaben nach dem SGB VIII sind alle in
§ 2 genannten Leistungen (§ 2 Abs, 2 SGB
VIII) und andere Aufgaben {§ 2 Abs. 3 5GB
VIII). Kosten für Altersgutachten können
entweder als Sachkosten der Erbringung
der gesetzlichen Aufgabe oder aber als
Auslagen erstattet werden und fallen da­
mit auch unter die Kostenerstattung gern.
§ 89d SGB VIII.

9 Weiterführendö Liï«rdtL,r, Rechtsprechu-pç, lints

9

Weiterführende Literatur,
Rechtsprechung, Links

Lite ra tu r/A rbe itsh i If e n :
Achterfeld, Susanne, Alterseinschätzung
bei unbegleiteten minderjährigen Geflüch­
teten, in: Jugendamt 2019, 294 ff.

OVG Bremen, Beschluss vom 04.06.2018,
Az. 1 B 82/18, zu den einzusetzenden Me­
thoden der forensischen Altersdiagnostik
zur Altersbestimmung.

BAG-UÄ, Handlungsempfehlungen zum
Umgang mit unbegleiteten Minderjähri­
gen, Verteilungsverfahren, Maßnahmen
der Jugendhilfe und Clearingverfahren.

VG Mainz, Urteil vom 07.05.2015, Az. 1
K 694/14 Mz, zum Erfordernis der Auf­
klärung der Minderjährigkeit durch den
Jugendhilfeträger und den Folgen des Un­
terlassens.

Alterseinschätzung: Rechtlrcher Rahmen,
fachliche Standards und Hinweise für die
Praxis, BumF, 2019.
DljuF Rechtsgutachten 08.03.2016 - J
6.220 Lh: Alterseinschätzung,- Abgren­
zung zwischen Altersfeststellung des
Jugendamts bzw, des Familiengerichts;
Neufestsetzung des Alters, wenn sich die
ursprüngliche Einschätzung als falsch her­
ausstellt, in: JAmt 2016, S, 255 ff.
Christoph Grünwald, in; ZKJ, Kindschaftsrecht und Jugendhilfe, Heft 8/2019, S. 296 ff.
Rechtsprechung:
OVG NRW, Beschluss vom 18.03.2020,
Az. 12 B 1731/19 zu der Ablehnung einer
Inobhumahme nach medizinischer Alters­
feststellung im einstweiligen Anordnungs­
verfahren.
OVG Bremen, Beschuss vom 10.05.2019,
Az. 1 B 32/19 zur Rechtswidrigkeit der
Ablehnung der vorläufigen Inobhutnahme
wegen fehlender Einwilligung des gesetz­
lichen Vertreters des Betroffenen/Unter­
suchten und Unverwertbarkeit des medi­
zinischen Gutachtens.

BGH, Urteil V. 12.02.2015, Az. V2B 185/14,
in: JAmt 2015, 395-396; auch Bayerischer
VGH, Beschluss vom 18.08.2016, 12 CE
16.1570, in; ZKJ 2016, 425-429.
VGH München, Beschluss vom 16 08.2016,
Az. 12 CS 16.1550; NVwZ-RR 2017, 238 ff.
VG Stade, Beschluss vom 13.09.2017, Az.
4 ß 2967/17.
Links:

European Asylum Support Office 2013:
Praxis der Altersbestimmung in Europa,
httpsi/Zb-urnf.de/p/studie-zu-medizinischen-alterseinschasetzungen-minderjaehrige-werden-zu-oft-aelter-gemacht/
https://b-umf.de/matenal/alterseinschaetzung-verfahrensgarantien-fuer-eine-kmdeswohlorientierte-praxis/
https://www.bva.bund.de/DE/Das-BVA/
Aufgaben/A/Auslaenderzentralregister/
azr_node.html

23

Anlagen
hutnahme nach § 42 Absatz 1 Satz 1

Gesetzliche Grundlagen

Nummer 3 abzulehnen oder zu been­
den, haben keine aufschiebende Wir­

§ 42f Behördliches Verfahren zur
Altersfeststellung

kung. Landesrecht kann bestimmen,
dass gegen diese Entscheidung Klage
ohne Nachprüfung in einem Vorverfah­

(1) 1Das Jugendamt hat im Rahmen der

ren nach § 68 der Verwaltungsgerichts­

vorläufigen Inobhutnahme der auslän­

ordnung erhoben werden kann,

dischen Person gemäß § 42a deren
Minderjährigkeit durch Einsichtnahme
in deren Ausweispapiere festzustellen
oder hilfsweise mittels einer qualifizier­
ten Inaugenscheinnahme einzuschät­

Richtlinie 2011/95/EU (Qualifika­
tionsrichtlinie) des Europäischen
Parlaments und des Rates vom
13. Dezember 201128

zen und festzustellen. 2§ 8 Absatz 1
und § 42 Absatz 2 Satz 2 sind entspre­

Diese Richtlinie, die zu Teilen am 09.01.

chend anzuwenden.

2012 in Kraft trat, war bis zum 21.12.2013

(2) ’Auf Antrag des Betroffenen oder

trat in Deutschland zu diesem Datum auf­

seines Vertreters oder von Amts wegen

grund des Gesetzes zur Umsetzung der

hat das Jugendamt in Zweifelsfällen

Richtlinie 201 1/95/EU vom 06,09.2013 in

eine ärztliche Untersuchung zur Alters­

Kraft. Dieses Gesetz regelt die Anerken­

in den Mitgliedsstaaten umzusetzen und

bestimmung zu veranlassen. 2lst eine

nung

ärztliche Untersuchung durchzuführen,

staatenlosen

von

Drittstaatsangehörigen
Personen

und deren

oder
An­

ist die betroffene Person durch das Ju­

spruch auf internationalen Schutz und so­

gendamt umfassend über die Unter­

wie den Inhalt des zu gewährenden Schut­

suchungsmethode und über die mög­

zes.

lichen Folgen der Altersbestimmung
aufzuklären. 3lst die ärztliche Untersu­

Ziele und Inhalte dieser Richtlinie (im Fol­

chung von Amts wegen durchzufüh­

genden: RL 2011) dienen der Umsetzung

ren, ist die betroffene Person zusätzlich

der Regelungen der Genfer Flüchtlings­

über die Folgen einer Weigerung, sich

konvention

(UN-Flüchtlingskonvention

der ärztlichen Untersuchung zu unter­

vom 28.07.1951, in der Fassung des sog.

ziehen, aufzuklären; die Untersuchung

New Yorker Protokolls vom 31.01.1967)

darf nur mit Einwilligung der betroffe­

auf europäischer Ebene. Die Richtline soll

nen Person und ihres Vertreters durch­
geführt werden. 4Die §§ 60, 62 und 65

der Schaffung eines gemeinsamen eu­

bis 67 des Ersten Buches sind entspre­

gehend einheitlichen Schutzes auf der

chend anzuwenden.

Grundlage des Art, 78 des Vertrags über

ropäischen Asylsystems und eines weit­

die Arbeitsweise der Europäischen Union
(3)

Klage gegen

(AEUV) dienen. Wenn die RL 2011 damit

Jugendamts,

auch weitgehend die Durchführung der

aufgrund der Altersfeststellung nach

Asyl- und aufenthaltsrechtlicher Verfahren

dieser Vorschrift die vorläufige Inob­

betrifft, so sind deren Bestimmungen den­

hutnahme nach § 42a oder die Inob­

noch auch im Hinblick die Verfahren nach

die

’Widerspruch
Entscheidung

und
des

https://Gur»Iex.europa.üu/LGxUriSefv/LexUriServ.dO?uri=OJ:L:Z011:337:QQ09:0026:de:PDF

§§ 42 ff, 5GB VIII relevant (s.o), da auch

nem Drittstaatsangehörigen oder Staaten­

diese nationale rechtliche Regelung den

losen in einem Mitgliedsstaat gestellten

Zielsetzungen der EU-Richtlinien entspre­

Antrags auf internationalen Schutz." Mit

chen muss.

der Dublin lll-VO werden daher vorrangig
Verfahrensvorschriften

vorgegeben,

die

Wesentlich für, und einen engen Bezug zu

für Entscheidungen im Hinblick auf die

den Regelungen §§ 42a ff. SGB VIII, haben

Gewährung eines Schutzstatus relevant

bereits die in Art. 2 lit k und I RL 2011 auf­

sind. Auch hierin werden jedoch Aussagen

genommenen Begriffsbestimmungen:

zu Verfahren betreffend unbegleitete min­
derjährige Ausländer getroffen: zu deren

Danach

ist

„Minderjähriger"

Per­

Anspruch auf uneingeschränkten Schutz,

son unter 18 Jahren und „unbegleiteter

zu ihrem Rechtsanspruch auf Wahrung

Minderjähriger" ist, wer ohne Begleitung

oder Herstellung der familiären Zusam­

eines für ihn nach dem Gesetz oder der

mengehörigkeit (die bspw. im Katalog des

Praxis

Mitgliedsstaats

§ 42b SGB VIII in Bezug auf ein Vertei­

verantwortlichen Erwachsenen in das Ho­

lungshindernis zu beachten sind) und zu

heitsgebiet eines Mitgliedsstaats einreist,

den Personen und deren Eignung, die min­

solange er sich nicht tatsächlich in der Ob­

derjährige unbegleitete Flüchtlinge oder

hut eines solchen Erwachsenen befindet;

Staatenlose in Verfahren vertreten sollen

dies schließt Minderjährige ein, die nach

(Art. 6 Dublin lll-VO).

des betreffenden

eine

der Einreise in das Hoheitsgebiet eines
Mitgliedsstaat dort ohne Begleitung zu­

Ferner gibt die Dublin lll-VO den Mitglieds­

rück gelassen werden.

staaten in Art. 34 Abs. 1 und Abs. 2 die
Verpflichtung zu einem weitgehenden Da­

Weiter ist auch Art. 31 der RL 2011 be­

tenaustausch zwischen den zuständigen

achtlich, der bestimmt wie die Gruppe der

Behörden der Staaten auf. Dies sind u. a.

unbegleiteten Minderjährigen durch Maß­

Daten über den Personenstand, Ausweis­

nahmen zu schützen ist, wie sie vorrangig

papiere,

unterzubringen sind, dass ihnen baldmög­

te oder Reisewege. Diese Verpflichtung

Fingerabdrücke,

Aufenthaltsor­

lichst ein Vormund zu bestellen ist und wie

schafft für die zuständigen Träger des §

sie an den Entscheidungen in den Verfah­

42f SGB Vlll-Verfahrens daher maßgebli­

ren zu beteiligen sind.

che Erkenntnisse.

Die Regelungen der §§ 42a ff. SGB VIII

Aufnahmerichtline 2013/32/ EU
vom 26. Juni 201330

müssen den übergeordneten Rechtsvorga­
ben der RL 2011 entsprechen.

In gleicher Weise trifft auch diese EU-

EU Verordnung 604/2013 vom 26.
Juni 2013 (Dublin lll-VO)29

Aufnahmerichtlinie

(im

Folgenden:

RL

2013) Begriffsbestimmungen (bspw. Art.
24 Unbegleitete Minderjährige) und Rege­

Ziele und Inhalte der Dublin Ill-Verordnung

lungen, die für die Auslegung der §§ 42a

(im Folgenden: Dublin lll-VO) sind nach

ff. SGB VIII bedeutsam sind: So regelt Art.

ihrem Titel: „Festlegung der Kriterien und

25 der RL 2013 Garantien für unbegleite­

Verfahren zur Bestimmung des Mitglieds­

te Minderjährige. Aufgrund der RL 2013,

staats, der für die Prüfung eines von ei­

Art. 25 Abs. 5 dürfen Mitgliedsstaaten

29 hupsy/www.eöso.europa eu/sites/défault/filcs/public/Dublin-DE.pdf
30 https://eur-lex,europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri^OJ.L:2013:180:0060:0095:DE:PDF

zur Bestimmung des Alters unbegleiterer

oder auf Antrag des Betroffenen eine ärzt­

Minderjähriger ärztliche Untersuchungen

liche Untersuchung zur Altersbestimmung

durchführen. Dies jedoch nur dann, so

zu veranlassen ist.

Art. 25 Abs, 5, wenn Zweifel am Alter der
betreffenden Person bestehen und unter

Weiter ist in Art. 25 Abs. 5 RL 2013 be­

Beachtung des Rechts auf Wahrung der

stimmt, dass bei Fortbestehen von Zwei­

Würde und der körperlichen Integrität.

feln nach Ausschöpfen der Erkenntnis­

Entsprechend diesem Wortlaut sieht also

quellen einschließlich der Durchführung

die Regelung des § 42f Abs. 2 SGB VIII vor,

der ärztlichen Untersuchung von der Min­

dass (nur) bei Zweifelsfällen, auf Antrag

derjährigkeit auszugehen ist,

des Betroffenen oder von Amts wegen

Landschaftsverband Rheinland

g Landschaftsverband Westfalen-Lippe

LVR-Landesjugendamt Rheinland

LWL-Landesjugendamt Westfalen

50663 Köln

48133 Münster

www,jugend.lvr.de

www.lwl-landesjugendamt.de